Aktionstag gegen Hass oder Kritik?

Am 25. Juni 2025 fand der 12. bundesweite Aktionstag gegen Hasspostings im Internet statt. Laut BKA gab es über 180 polizeiliche Maßnahmen, darunter 65 Hausdurchsuchungen. Ziel sei es gewesen, strafbare Inhalte wie Volksverhetzung, die Verwendung verfassungswidriger Symbole oder das Billigen von Straftaten zu verfolgen. Doch ein genauer Blick offenbart einen alarmierenden Trend.

27.06.2025 12:24 von Christian

Von der Volksverhetzung zur Politikerbeleidigung

Was wie ein entschlossener Schlag gegen digitale Gewalt wirkt, umfasst auch Politikerbeleidigungen:
Von den 180 Verfahren betraf ein nicht unerheblicher Teil Beleidigungen gegen Politiker. Schätzungen zu Folge betraf dies über *50% der Verfahren - allein in Nordrhein-Westfalen waren 14 Fälle dabei.
Es geht um Menschen, die Politiker hart, manchmal unsachlich, aber meist ohne extremistisches Ziel kritisieren und dafür Besuch von der Polizei erhalten.

Wenn ein Like zur Hausdurchsuchung führt

In mehreren Fällen der letzten Jahre reichte schon eine simple Beleidigung oder ein geteiltes Kommentar, um eine Hausdurchsuchung zu rechtfertigen - einen der gravierendsten Grundrechtseingriffe im Strafverfahren.
Geräte werden beschlagnahmt, intime Daten eingesehen - oft ohne klare Perspektive auf eine spätere Verurteilung.

Ein bekanntes Beispiel ist der „Pimmelgate“-Fall aus Hamburg:
Ein Nutzer bezeichnete Innensenator Andy Grote als „Pimmel“. Die Folge: Hausdurchsuchung, richterlicher Beschluss - später als unverhältnismäßig kritisiert. Doch die Folgen blieben bestehen.

Der stille Anstieg politischer Empfindlichkeit

Jahr für Jahr steigen die Anzeigen von Politikern gegen Beleidigungen - allein 2023 gab es mehr als 2.700 Beschwerden.
Über 700 davon stammen von Robert Habeck (Grüne).
Angela Merkel stellte im Vergleich während ihrer 16-jährigen Kanzlerschaft keine einzige Anzeige.
Der Kontrast ist signifikant.

Kritik aus dem Ausland

Die strengere Handhabung von Beleidigungen in Deutschland sorgt international für Aufsehen - und Skepsis:

Schutz vor Hetze oder politische Zensur?

Selbstverständlich muss Hass und Gewalt, insbesondere gegen Minderheiten oder Amtsträger, konsequent verfolgt werden.
Aber reicht eine einfache Kritik - etwa „Du bist ein Witz“ oder „Ich finde dich korrupt“ - wirklich für radikale Ermittlungsmaßnahmen?

Früher galt in der Rechtsprechung:
Politiker müssen mehr aushalten als durchschnittliche Bürger.
Heute nutzen sie den § 188 StGB („Beleidigung gegen Personen des politischen Lebens“) als Druckmittel - inklusive Hausdurchsuchungen.
Kritiker sprechen von einer Maulkorb-Debatte, die die demokratische Streitkultur gefährden könnte.

Eine Demokratie lebt von Kritik

Demokratie braucht Widerstand - besonders, wenn er unsachlich oder emotional ist.
Satire, Polemik und Übertreibung gehören dazu.
Die Grenze liegt bei Hetze und Entmenschlichung.

Aber die heutige Praxis verschiebt das Ziel:
Statt Hetzer zu treffen, werden harte Grenzen gegenüber politischer Kritik gezogen.

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Über den Author

Christian

Ich bin Christian Seip - Softwareentwickler mit Schwerpunkt auf Web-Technologien. In den letzten Jahren war ich unter anderem als Lead Developer und Datenschutzkoordinator bei der Ströer-Gruppe tätig. Davor habe ich bei Amazon Games gearbeitet.

Ich schreibe hier, weil ich Dinge hinterfrage. Weil ich wissen will, was unter der Oberfläche steckt - technisch, gesellschaftlich und sprachlich. Und weil ich glaube, dass es nicht reicht, Dinge nur zu tun, ohne darüber zu reden.

Dieser Blog ist kein Tutorial-Archiv und keine Selbstvermarktung. Er ist mein Versuch, klare Gedanken zu formulieren und Position zu beziehen auch wenn es unbequem ist. Mal technisch, mal kritisch, mal persönlich.