Wie KI die Softwareentwicklung wirklich verändert

KI soll uns helfen, effizienter zu entwickeln und schafft gleichzeitig eine völlig neue Art von Chaos. Wer heute noch in der Softwarebranche arbeitet, erlebt beides: den echten Produktivitätsgewinn durch KI und das langsame Aushöhlen des Berufs durch Blender, Preisdumping und Überangebot. Was bedeutet das für Entwickler im Jahr 2025?

21.07.2025 09:28 von Christian

Für erfahrene Entwickler kann KI ein echter Mehrwert sein. Code-Vorschläge, Tests, Refactoring, sogar Architekturideen - das alles lässt sich mit Sprachmodellen heute beschleunigen. Wer versteht, was er tut, kann mit KI produktiver, schneller und präziser arbeiten. Die Betonung liegt auf: wer versteht, was er tut.

Denn genau hier beginnt das Problem.

Immer mehr Menschen kommen neu in den Beruf, über die Hintertür. Sie bauen kleine Anwendungen mit ChatGPT, generieren sich Webseiten, schreiben ihre Lebensläufe so, dass sie nach Junior Developer klingen. Die KI hilft ihnen, Dinge zu tun, die sie nicht verstehen. Und der Markt schaut zu.

Früher war der Weg in die Softwareentwicklung mühsam. Man musste Konzepte verstehen, denken lernen, Fehler machen. Heute reicht es oft, die richtigen Fragen zu stellen oder überhaupt nur Fragen zu stellen. Tutorials, YouTube, ChatGPT und schon hat man eine „Lösung“.

Was dabei entsteht, ist nicht zwingend schlechter Code. Aber es fehlt die Tiefe, das Verständnis, die Verantwortung. Fehler, die man früher selbst gemacht hat, macht jetzt das Modell - aber eben auch unsichtbar.

Und trotzdem: Diese „Entwickler“ bewerben sich auf dieselben Stellen wie du. Oft mit mehr Buzzwords, schöneren Portfolios und viel weniger Kompetenz.

Der Markt kippt von oben und von unten gleichzeitig

Wir erleben gerade ein paradoxes Bild:

Von unten drängen täglich neue Entwickler nach - viele davon ohne Substanz, aber mit KI-gestützter Selbstvermarktung.

Von oben wird der Markt immer enger. Stellenausschreibungen bekommen innerhalb von Stunden hunderte Bewerbungen. Viele Unternehmen schließen die Bewerbungsphase noch am selben Tag.

Das Ergebnis: Sichtbarkeit sinkt. Chancen werden zur Lotterie. Selbstständige kämpfen mit immer aggressiverem Preisdumping. Webseiten für 799 €, KI-generiert und „inkl. Hosting“ - wer solche Angebote ernsthaft bewirbt, hat den Beruf längst verraten.

KI ist kein Jobmotor. Sie ist ein Katalysator für Disruption.

Die große Hoffnung, KI würde neue Jobs schaffen, erfüllt sich nur bedingt. Ja, es entstehen neue Rollen: AI-Trainer, Datenarchitekten, KI-Sicherheitsspezialisten. Aber sie ersetzen nicht das, was gerade wegfällt.

Der klassische Entwicklerjob, besonders auf niedrigerem oder mittlerem Niveau, ist bedroht. Nicht, weil KI besser wäre. Sondern weil sie für Mittelmaß reicht. Und Mittelmaß reicht dem Markt oft völlig aus.

Wer wirklich gute Software baut, wird auch 2025 noch gebraucht. Die Frage ist nur: Wird er auch gesehen? Zwischen Schein-Entwicklern, Offshore-Angeboten, No-Code-Lösungen und „KI-Entwicklern“ wird es zunehmend schwer, sich zu behaupten.

Die Lösung ist nicht, KI zu ignorieren. Die Lösung ist, sie so zu beherrschen, dass man ihr voraus bleibt. Und gleichzeitig aufzuhören, sich auf denselben Marktplätzen wie Dumping-Anbieter zu verkaufen.

Die Branche verändert sich, aber nicht unbedingt zum besseren

KI ist ein Werkzeug und eine Waffe. Wer sie zu nutzen weiß, kann gewinnen. Wer glaubt, sie ersetzt Können, wird austauschbar.

Die Softwareentwicklung wird nicht untergehen. Aber sie wird sich neu sortieren. Und viele, die heute dabei sind, werden nicht mehr lange dazugehören.

Die guten, weil sie nicht genug auffallen. Die schlechten, weil sie sich selbst überflüssig gemacht haben.

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Über den Author

Christian

Ich bin Christian Seip - Softwareentwickler mit Schwerpunkt auf Web-Technologien. In den letzten Jahren war ich unter anderem als Lead Developer und Datenschutzkoordinator bei der Ströer-Gruppe tätig. Davor habe ich bei Amazon Games gearbeitet.

Ich schreibe hier, weil ich Dinge hinterfrage. Weil ich wissen will, was unter der Oberfläche steckt - technisch, gesellschaftlich und sprachlich. Und weil ich glaube, dass es nicht reicht, Dinge nur zu tun, ohne darüber zu reden.

Dieser Blog ist kein Tutorial-Archiv und keine Selbstvermarktung. Er ist mein Versuch, klare Gedanken zu formulieren und Position zu beziehen auch wenn es unbequem ist. Mal technisch, mal kritisch, mal persönlich.

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