Senior sein heißt nicht, alles zu wissen

Ich habe erlebt, was es bedeutet, für andere einzustehen. Entscheidungen zu treffen, die nicht immer leicht sind. Und zu merken: Ein guter Senior hat nicht immer die Antworten - aber die richtigen Werte. Ein Erfahrungsbericht.

20.05.2025 09:21 von Christian

Ein persönlicher Blick auf Verantwortung, Führung und das große Ganze

Ich bin ehrlich: Ich habe die Senior-Stufe eigentlich übersprungen. Mein Weg ging direkt vom Mid-Level zum Lead Developer. Und doch gab es diesen einen Moment, der mir klar gemacht hat: Jetzt bin ich in einer anderen Rolle.

Es war der Tag, an dem ich nicht nur fachlich mehr wusste als mein damaliger "Senior", sondern auch die Verantwortung bekam, einen Junior ins Unternehmen einzuführen. Ihn auszubilden, ihm den Einstieg zu erleichtern, ihm Wissen weiterzugeben. Da wurde mir bewusst: Es geht hier nicht mehr nur um mich und meinen Code - sondern jetzt bin ich auch für andere und ihren Code verantwortlich.

Der Irrglaube vom allwissenden Senior

Früher dachte ich, Senior zu sein bedeutet, auf alles eine Antwort zu haben. Heute weiß ich: Das ist Unsinn. Du wirst als Senior regelmäßig auf Dinge stoßen, die du noch nie gesehen hast. Und das ist okay. Die wahre Stärke liegt nicht im Wissen - sondern im Umgang mit dem Nichtwissen. In der Fähigkeit, sich hineinzudenken, nachzufragen, auch mal zu sagen: "Lass uns das gemeinsam herausfinden."

Was ein Senior wirklich braucht

Fachliches Können ist wichtig - keine Frage. Aber das macht dich noch lange nicht zum Senior. Was es wirklich braucht:

Verantwortung beginnt beim Menschen

Ich habe nie jemandem den Rücken zugekehrt. Auch wenn ich manchmal dachte: "Das wird nix." Ich hatte diesen einen Junior, bei dem ich lange gezweifelt habe. Aber ich hab mich bewusst dafür entschieden, dranzubleiben - zu helfen, zu unterstützen. Und ich habe es nicht bereut.

Diese Entscheidung war für mich sinnbildlich für gute Führung: nicht gleich aufgeben, sondern hinschauen, begleiten, auch wenn's anstrengend ist.

Wenn es unbequem wird

Ich bin nicht der Typ, der wegsieht, wenn's unfair wird. Einmal habe ich mich ganz klar gegen meine Vorgesetzten gestellt, weil ein Mitarbeiter ungerecht behandelt wurde. Und ja - das war riskant, das wusste ich vorher. Aber mein Gerechtigkeitssinn war (und ist) stärker. Ich kann nicht einfach so tun, als wäre alles okay, wenn es das nicht ist. Das schulde ich den Leuten, die mir ihr Vertrauen schenken - denn das tun sie nicht ohne Grund, sondern weil sie wissen, dass ich damit Verantwortungsvoll umgehe und mich für sie einsetze.

Führung ist Zuhören

In meiner Zeit als Lead und davor habe ich monatliche 1-on-1s mit jedem Junior geführt. Da ging's nicht um KPIs, sondern um echte Gespräche: Was brauchst du? Wo hängst du? Was würdest du dir wünschen?

Viele vergessen: Ein guter Senior ist auch ein guter Zuhörer. Wer nur sendet, verliert irgendwann den Kontakt zum Team.

Perfektion? Ein zweischneidiges Schwert

Ich bin perfektionistisch. Manchmal zu sehr. Ich hab Nächte schlecht geschlafen, weil mir ein kleines Detail im Code querhing. Aber ich habe gelernt: Nicht alles muss sofort perfekt sein. Es reicht oft, wenn es funktioniert - und später besser werden kann.

Was "Senior" für mich heute bedeutet

Senior sein heißt für mich:

Ein Senior ist kein Titel, sondern eine Haltung.

Für alle, die denken, sie seien noch nicht so weit

Wenn du dich fragst, ob du "bereit" bist für eine Senior-Rolle - und Zweifel hast: Willkommen im Club. Ich hatte die auch. Viele haben die. Aber meistens merkt man nach kurzer Zeit: Du bist besser, als du denkst. Du wächst da rein. Wenn du die Menschen nicht vergisst, wirst du automatisch führen.

Was ich heute anders machen würde

Als ich Lead Developer wurde, war ich schon "Führungserfahren". Aber in meiner ersten Führungsrolle vor ca. 15 Jahren wurde ich ins kalte Wasser geworfen. Ohne Vorbereitung. Keine Schulung, kein Coaching, nichts. Ich musste mir alles auf die harte Tour beibringen. Entgegen meiner eigenen Erwartung, war ich darin von Natur aus recht gut - aber es hätte besser sein können.

Wenn ich heute zurückblicke, würde ich mir selbst sagen: Bestehe auf Zeit zur Vorbereitung. Nimm dir Raum für Fortbildung. Führung ist kein Nebenprodukt von Fachwissen - es ist eine eigene Disziplin.

Ich sehe viele, die fachlich super sind, aber nie gelernt haben zu führen. Und das schadet nicht nur dem Team - sondern am Ende auch dem Unternehmen.

Fazit

Ein guter Senior hat nicht alle Antworten - aber er stellt die richtigen Fragen und weiß, wie er die Antworten findet. Er ist nicht der lauteste im Raum - aber oft der, der am meisten bewegt. Und er weiß: Es geht nicht nur um Code, sondern um Menschen.

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Über den Author

Christian

Ich bin Christian - Softwareentwickler. Über die Jahre habe ich in verschiedenen Rollen gearbeitet, unter anderem als Lead Developer und Datenschutzkoordinator in der Ströer-Gruppe sowie als Games Specialist bei Amazon Games.